Kurland

Kurland

Kurland, russ. Gouvernement, die südlichste der Ostseeprovinzen (s. Karte »Livland, Esthland und Kurland« bei Art. »Livland«), besteht aus dem eigentlichen K. (Herzogtum K.), dem Herzogtum Semgallen, dem alten Bistum Pilten und dem Bezirk von Polangen, grenzt im N. an Livland und an den Rigaischen Meerbusen, im O. an das Gouvernement Witebsk, im W. an die Ostsee, im S. an Kowno und Preußen und hat ein Areal von 27,286 qkm (495,5 QM.). Vom Areal sind 25 Proz. Ackerland, 30 Proz. Wiesen, 33 Proz. Wald und 12 Proz. Unland. Die nördlichste Spitze läuft in das weit hervorragende Kap Domesnäs aus. K. wird in mehreren Richtungen von flachen Höhenzügen (70–130 m hoch), die von S. her, aus Litauen, kommen, durchschnitten. Die 340 km lange, meist flache Seeküste bildet fast gar keine Busen; die einzigen Punkte, wo Schiffe landen können, sind Libau, Windau und Polangen. Die bedeutendsten Flüsse sind: die Kurische Aa, die Windau und die Düna, die Grenzfluß gegen Witebsk und Livland ist. Von Kanälen sind nennenswert: der Jakobskanal bei Mitau, nach dem Frieden von Oliva zwischen 1660 u. 1681 angelegt, verbindet die Schwite mit der Drixe bei Mitau, der Libausche Kanal, verbindet den gleichnamigen See mit der Ostsee und bildet zugleich einen Hafen. Die bedeutendern der sehr zahlreichen Seen sind: der Libausche (40 qkm), der Usmaitensche (42 qkm) und der Papensee (18 qkm). Von den Mineralquellen sind die schwefelhaltigen bei Baldohn und Barbern und die eisenhaltigen bei Buschhoff und Dondangen am bekanntesten. Das Klima ist gesund, aber veränderlich und oft nebelig.

Die Bevölkerung zählt (1897) 672,534 Einw. (25 auf 1 qkm), davon sind 76 Proz. Protestanten, 16 Proz. Griechisch-Orthodoxe und Römisch-Katholische und ca. 8 Proz. Juden. Der Nationalität nach sind am meisten die Letten vertreten, welche die Klasse der Bauern bilden. Dem Deutschtum gehört der Adel und ein großer Teil der städtischen Bevölkerung an, 8,2 Proz.; Russen sind mit 1,7, Polen und Litauer mit 1 Proz. vertreten. Die lutherische Kirche steht unter einem Provinzialkonsistorium, das seinen Sitz in Mitau hat. Die Hauptbeschäftigung der Einwohner bildet der Ackerbau. Man baut Roggen, Hafer, Weizen, Gerste, Rüben und Futterkräuter, weniger Kartoffeln, Lein, Hanf und Buchweizen. Die Ernte war 1902: 40,915 Ton. Weizen, 151,854 T. Roggen, 151,530 T. Hafer, 87,020 T. Gerste und 239,270 T. Kartoffeln. Das Obst gedeiht vorzüglich, ebenso auch Gemüse. Die Viehzucht hebt sich von Jahr zu Jahr, namentlich was Veredelung der Rassen betrifft. Man zählt (1904) 388,000 Stück Hornvieh, 472,000 Schafe, 285,000 Schweine und 142,000 Pferde. Im nördlichen und östlichen Teil ist Nadelwald vorherrschend, während der südliche und westliche Teil reicher an Laubwald ist. Von den Wäldern gehört fast die Hälfte der Krone. Das Mineralreich liefert Gips, Lehm, Kalk, Torf, Bernstein, namentlich am Angaruschen See und am Meeresstrand, Sandstein, Mergel, Sumpfeisen und Braunkohle. Die Industrie ist, mit Ausnahme der Städte Libau und Mitau, von geringer Bedeutung und befaßt sich hauptsächlich mit der Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte. Man zählte 1895: 385 industrielle Betriebe mit 13,5 Mill. Rub. Produktionswert (darunter 91 Branntweinbrennereien, die für 7,2 Mill. Rub. produzierten). Der Handel, namentlich über Libau (s. d.), nimmt bedeutenden Aufschwung. In militärischer Hinsicht ist K. dem Generalgouvernement von Wilna unterworfen. Das Gouvernement wird in zehn Kreise geteilt: Bauske, Friedrichstadt, Goldingen, Grobin, Hasenpoth, Illuxt, Mitau, Talsen, Tuckum und Windau. Hauptstadt ist Mitau. Das in vier Felder geteilte Wappen zeigt im ersten und vierten Feld in Silber einen roten, rot gekrönten, einwärts gerichteten Löwen (Kurland), im zweiten und dritten Feld einen aus der Schildkante zur Hälfte hervorschreitenden silbernen Elch mit einem Herzogshut am Kopfe (Semgallen).

Geschichte. Seit der Völkerwanderung war K. von Kuren (wohl meist lettischen Stammes) bewohnt, an der Küste von Liven (s. Livland). 1561 wurde der letzte livländische Meister des Deutschen Ordens, Gotthard Kettler, als Herzog mit K. und Semgallen von dem König von Polen, Siegmund August, belehnt. Die lutherische Lehre, nach K. noch wenig eingedrungen, wurde von Herzog Gotthard eingeführt und 1572 eine Kirchenordnung gegeben. 1587 folgten Gotthards Söhne Friedrich und Wilhelm und herrschten gemeinsam, indem sie nur die Güter und Schlösser behufs Erhebung der Einkünfte teilten. Wilhelm wurde wegen eines Zwists mit den Brüdern v. Nolde vom Adel 1616 abgesetzt. Friedrich, der 1617 in der sogen. Regimentsformel eine neue Verfassung für K. gab, regierte seitdem allein. Als er 1642 kinderlos starb, folgte sein Neffe Jakob. Dieser suchte während der Kriege Polens mit Rußland und dann mit Schweden Neutralität zu beobachten; doch Karl X. von Schweden besetzte 1658 K. und ließ den Herzog gefangen abführen. Erst der Friede von Oliva (1660) gab diesem sein Land zurück, das 1661 durch das Stift Pilten vergrößert wurde. Durch den Krieg war der Handel und die Fabriktätigkeit, die Jakob erfolgreich gefördert hatte, arg geschädigt worden; er suchte durch Anlage von Kolonien in Tabago und Westafrika den Wohlstand zu heben. Hierin eiferte ihm sein Sohn Friedrich Kasimir (1682–1698) nach. Unter dessen Sohn Friedrich Wilhelm (1698–1711), der minderjährig unter der Vormundschaft seines Oheims Ferdinand und seiner Mutter regierte, hatte das Land während des Nordischen Krieges infolge der Invasion der Schweden (1700–1703, 1704–09) viel zu leiden. Der junge Herzog, in Deutschland erzogen, hatte kaum die Regierung angetreten, als er 1711 unmittelbar nach seiner Vermählung mit der russischen Prinzessin Anna Iwanowna starb. Die Herzogin Anna nahm unter dem Schutz Peters d. Gr. ihren Witwensitz in Mitau. Ihres Gemahls Oheim, Herzog Ferdinand, trat zwar die Regierung an, lebte aber im Auslande. Der König von Polen plante, K. nach dem Tode des kinderlosen Ferdinand als ein erledigtes Lehen einzuziehen. Um dies zu verhindern, erwählten die kurländischen Stände 1726 den natürlichen Sohn des Königs von Polen, Moritz von Sachsen, zum Herzog. Doch Rußland und Polen erklärten sich dagegen. Auf dem Reichstag zu Grodno wurde die Vereinigung Kurlands mit Polen, sobald Ferdinand gestorben sei, von neuem dekretiert; doch Rußland willigte nicht ein. August II. von Polen belehnte endlich Ferdinand mit K. (1731). Als mit dessen Tode 1737 das herzogliche Haus erlosch, setzte die Herzog in Anna, die inzwischen den russischen Thron bestiegen hatte, mit Zustimmung Augusts III., der ihr die polnische Krone verdankte, ihren Günstling, Ernst Johann von Biron, zum Herzog ein. Doch dieser blieb in Petersburg und wurde nach dem Tode seiner Beschützerin (1740) von der zur Regentin erhobenen Anna Leopoldowna nach Sibiren verbannt. Die Stände wählten darauf den Prinzen Karl von Sachsen 1758 zum Herzog. Katharina II. setzte aber 1763 Biron wieder als Herzog von K. ein. Er starb 1772, nachdem er schon 1769 die Regierung an den Erbprinzen Peter abgetreten hatte. Am 18. März 1795 beschloß der kurländische Landtag, wegen Mißregierung Peter abzusetzen und K. dem russischen Zepter zu unterwerfen. Auf diese Weise wurde K. eine russische Provinz. 1817 wurde die Leibeigenschaft aufgehoben. Seit den 1860er Jahren begann auch hier die Russifikation. S. Livland. Vgl. Ziegenhorn, Staatsrecht der Herzogtümer K. und Semgallen (Königsberg 1772); Tetsch, Kurländische Kirchengeschichte (Leipz. 1767–69); Schwartz, K. im 13. Jahrhundert bis zum Regierungsantritt Bischofs Edmund v. Werd (das. 1875); E. u. A. Seraphim, Aus Kurlands herzoglicher Zeit (Stuttg. 1892) und Aus der kurländischen Vergangenheit (das. 1893); E. Seraphim, Geschichte Liv-, Esth- und Kurlands (Reval 1895–96, 2 Bde.); A. Seraphim, Eine Schwester des Großen Kurfürsten, Luise Charlotte, Herzogin von Kurland (Berl. 1901); Hollmann, Kurlands Agrarverhältnisse (Riga 1893).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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