Legénde

Legénde

Legénde (v. lat. legenda, »das zu Lesende«), die Lebensgeschichte eines Heiligen, auch die Erzählung einzelner Begebenheiten daraus, sofern sie an gewissen Tagen in der Kirche vorgelesen wurde; im weitern Sinne die poetische Darstellung einer frommen, der kirchlichen Überlieferung angehörigen Handlung, die mit einem wunderbaren Erfolg gekrönt wird; endlich soviel wie kirchliche Sage überhaupt, im Gegensatz zur weltlichen Sage und zur Kirchengeschichte. Mit Vorliebe behandelte die L. das Leben der Jungfrau Maria und der Märtyrer der ersten christlichen Jahrhunderte und gewann dadurch in der Blütezeit des Marien- und Heiligenkultus den außerordentlichen Umfang, der uns in den verschiedenen Legendensammlungen entgegentritt. Das berühmteste unter den mittelalterlichen Werken dieser Art ist die vom Erzbischof von Genua Jacobus de Voragine (s. d.) veranstaltete Sammlung, die den Namen »Legenda aurea« führt; das umfassendste aber sind die »Acta Sanctorum« der Bollandisten (s. d.). Auch in die Poesie der christlichen Völker fand die L. frühzeitig Eingang, zuerst um 400 durch Prudentius. Die älteste hierher gehörige Dichtung in deutscher Sprache ist das im 10. Jahrh. niedergeschriebene Georgslied, das älteste poetische Sammelwerk ein Legendar aus dem Anfang des 12. Jahrh., von dem Bruchstücke erhalten sind (hrsg. von Busch in der »Zeitschrift für deutsche Philologie«, Bd. 10 u. 11, Halle 1879–80). Die L. im Stil der höfischen Poesie eröffnet der »Heilige Gregor auf dem Stein« von Hartmann von Ane; dann folgen unter andern »Barlaam und Josaphat« von Rudolf von Ems, die Legenden »Vom heil. Silvester« und »Vom heil. Alexius« von Konrad von Würzburg; das Leben der heil. Martina von Hugo von Langenstein (hrsg. von A. v. Keller in den Publikationen des Literarischen Vereins in Stuttgart, Bd. 38, 1855); das »Marienleben« des Walter von Rheinau (hrsg. von Keller, Tübing. 1849–55); das Leben der heil. Elisabeth (nach 1297 verfaßt; hrsg. von Rieger für den Literarischen Verein, Bd. 90, 1868) u.a. Eine umfängliche Sammlung von Legenden in drei Büchern enthält das »Passional« aus dem 13. Jahrh. (hrsg. von Köpke, Quedlinb. 1853) und, von demselben Verfasser, das »Buch der Väter«, die Geschichten von Einsiedlern behandelnd (vgl. M. Haupt in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie, Bd. 69, 1871, und Franke, Das Väterbuch, Paderb. 1880). Auch hat man in Deutschland, obgleich nicht so häufig wie in Frankreich, L. als Dramen verarbeitet, das älteste nachweisbare (St. Katharina) ist in einer Handschrift aus der ersten Hälfte des 14. Jahrh. überliefert. Im 14. und 15. Jahrh. kamen zu den gereimten längern und kürzern Legenden auch prosaische Bearbeitungen, wie in dem »Buch von der Heiligen Leben« von Hermann von Fritzlar (um 1343), hinzu, wodurch jene allmählich verdrängt wurden. Bis 1520 waren in Deutschland 45 Passionale, 18 Altväterbücher und 125 Leben einzelner Heiligen im Druck erschienen. Die Reformation und späterhin die Aufklärung waren der Legendenliteratur wenig günstig. Dann aber hat namentlich Herder in den »Zerstreuten Blättern« und in der »Adrastea« auf den poetischen Gehalt der L. hingewiesen, wie er sie auch durch einige gelungene Versuche wieder in die deutsche Literatur eingeführt hat. Seitdem haben sich namhafte deutsche Dichter (Goethe, A. W. Schlegel, Kosegarten, Pyrker, Rückert, Kerner, Schwab, Simrock u.a.) in der poetischen Bearbeitung legendenartiger Stoffe mit Erfolg versucht. Eine Abart der Legenden sind die Mirakel, die berichten, wie die Heiligen aus dem Jenseits herüber in die Geschicke der Menschen eingreifen. Die Marienmirakel entwickelten sich seit dem 12. Jahrh. zu einem besondern Literaturzweig. – In der Münzkunde bezeichnet L. die Inschrift oder Umschrift der Münzen (s. Münzwesen); auf Landkarten, Stadtplänen etc. die beigedruckten Namensverzeichnisse. – Auch die Inschriften auf Spruchbändern, welche die Kunst des frühen Mittelalters aus dem Munde von Figuren heraushängen ließ oder ihnen in die Hände gab, um ihre Bedeutung oder ihre Handlung zu erläutern, nennt man Legenden. Solche Spruchbänder erhielten sich noch bis zum Ende des 15. Jahrh. namentlich in der Kupferstecherkunst. – In der Musik die Komposition einer Legendendichtung als Einzelgesang oder Chorwerk, auch wie Romanze und Ballade Bezeichnung von Instrumentalwerken »im Erzählerton«.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

Игры ⚽ Поможем написать реферат

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • légende — [ leʒɑ̃d ] n. f. • XIIIe; lat. médiév. legenda « ce qui doit être lu », de legere « lire » I ♦ Relig. Récit de la vie d un saint destiné à être lu à l office de matines. ♢ Recueil de ces récits. La Légende dorée : recueil de vies de saints ( XIII …   Encyclopédie Universelle

  • Legende — Légende Pour les articles homonymes, voir Légende (homonymie). La légende médiévale de Renart …   Wikipédia en Français

  • legende — Legende. s. f. On appelle ainsi le livre de la vie des Saints. Lire la Legende. ce Saint la n est pas dans la Legende. On appelle, Legende dorée, Un vieux livre de la vie de plusieurs Saints. Legende sign. aussi, L Escriture gravée autour d une… …   Dictionnaire de l'Académie française

  • Legende — Sf std. (13. Jh.), mhd. legende Entlehnung. Ist entlehnt aus ml. legenda Lesung eines Heiligenlebens, eigentlich die zu lesenden (Texte) , zu l. legere lesen . Ausgehend von dem oft wunderlichen Charakter solcher Geschichten entsteht dann die… …   Etymologisches Wörterbuch der deutschen sprache

  • Legende — (1906) A solo work for trumpet and piano, composed by George Enescu (1881 1955) and premiered by Merri Franquin (1848 1934), professor of cornet at the Paris Conservatoire. This piece reflects the impressionistic style of Enesco s teachers Jules… …   Wikipedia

  • Legende — [Wichtig (Rating 3200 5600)] Bsp.: • Der Legende nach wird es 40 Tage lang regnen, wenn es an diesem Tag regnet …   Deutsch Wörterbuch

  • Legende — (v. lat.), 1) was zum Lesen bestimmt ist, z.B. Aufschrift, Inschrift, bes. 2) die die Hauptfigur erklärende Umschrift einer Münze; 3) Lesestück aus der Heiligen Schrift u. aus den Lebensbeschreibungen der Heiligen zum Gebrauche des Chors in… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Legénde — (lat. legenda, »das zu Lesende«), Buch mit biblischen und frommen Lesestücken für gottesdienstlichen und privaten Gebrauch; Erzählungen aus dem Leben der Heiligen und Märtyrer, zum Vorlesen im Gottesdienst bestimmt, später geistl. Sage, im… …   Kleines Konversations-Lexikon

  • Legende — – das zu Lesende – nennt man in der römisch katholischen Kirche dasjenige Buch, welches die Stücke enthält, welche bei dem täglichen Gottesdienste vorgelesen werden sollen. Diese Vorlesungen enthalten gewöhnlich die Geschichte des Tages Heiligen …   Damen Conversations Lexikon

  • legende — legènde ž mn <G ā/ ī> DEFINICIJA rukopisno pismo izmjenična poteza (autor F. H. Schneidler) ETIMOLOGIJA lat. legenda: da se pročita ≃ legere: čitati …   Hrvatski jezični portal

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”